Forschergruppe „Philologie des Abenteuers“
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Workshop "Abenteu(r)er um 1900. Lebensformen und Formexperimente" (08./09.12.23)

08.12.2023 – 09.12.2023

Workshop "Abenteu(r)er um 1900. Lebensformen und Formexperimente"
(Organisation: Inka Mülder-Bach und Oliver Grill) 
08./09.12.23, Seidlvilla München (Nikolaiplatz 1b) 

Screenshot Abenteu(r)er Plakat

Am 08./09.12. findet in der Seidlvilla München der von Inka Mülder-Bach und Oliver Grill (TP5) organisierte Workshop "Abenteu(r)er um 1900. Lebensformen und Formexperimente" als Teil der des zentralen Veranstaltungsprogramms der Forschungsgruppe statt. 


Abstract: 

Von Abenteuern wird traditionell erzählt. Das geschieht zumeist in Serien, denen narrative Großformate wie Epos, Roman oder Reisebericht entsprechen. Für die Verfasser der populären Abenteuerromane des 19. Jahrhunderts bot sich mit der sukzessiven Veröffentlichung im Feuilleton die Möglichkeit, diese Serialität auch publizistisch zu realisieren. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begegnen Abenteuer und Abenteurer jedoch auch in anderen Genres, Medien und diskursiven Konstellationen.

„Hätten wir nur eine Philosophie des Abenteuers!“ – dieser Stoßseufzer, der Johann Gottfried Herder im 18. Jahrhundert entfuhr, findet in der Lebensphilosophie des fin de siècle eine verspätete Antwort. Während Herder eine Kulturgeschichte des Abenteuers vorschwebte, greift Nietzsche die Analogie von Abenteuer und Entdeckung auf, um die wagemutigen Unternehmungen freier Geister in Szene zu setzen, die keiner geschichtlichen Bedingtheit unterliegen. Simmel bestimmt den Abenteurer als „unhistorischen Menschen“ und das Abenteuer als eine „Form“ des Erlebens, das einerseits aus der Kontinuität des Lebens herausfällt und das dessen Energien andererseits in einem exzentrischen Modus verdichtet. Diese philosophischen Reflexionen entfalten sich in kleinen, essayistischen und aphoristischen Formen, in denen sich das Denken selbst „dem Abenteuer anbietet“ (Nietzsche).

In vergleichbarer Weise nutzt die zeitgenössische Literatur neben großen narrativen Formaten vielfach kleinere Genres, um theoretische Aspekte des Abenteuers in Formfragen zu übersetzen. Der Kreis erzählerischer Gattungen wird dabei sowohl abgeschritten als auch überschritten. Hofmannsthal unternimmt es, novellistische Abenteuer zu dramatisieren, während Rilke sich an einer lyrischen Figuration versucht. Diese Genreexperimente gehen mit einer Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Abenteuer auf die Figur des Abenteurers einher, für die Casanova häufig ein Modell abgibt. Die erotische Libertinage ist jedoch nur eine Facette des zeitgenössischen Interesses am Abenteurertum. So wie der aventurier, den der historische Casanova in seiner Histoire de ma vie erschafft, eine multiple persona ist, tritt der Abenteurer in der Literatur der Jahrhundertwende in verschiedenen Rollen auf. Das Spektrum reicht vom Verführer und Spieler über den Hochstapler und Agenten bis zum Entdecker und Eroberer. Nicht minder vielfältig sind die plots und szenischen Arrangements, mit denen die Literatur in der Ausgestaltung dieser Rollen operiert.

Ein wiederkehrendes Erzählmuster ist dabei die Heimkehr. In den auf Casanovas Memoiren zurückgehenden Dramenentwürfen Hofmannsthals und in Schnitzlers Novelle „Casanovas Heimfahrt“ dient dieses Erzählmuster dazu, Fragen nach der temporalen Signatur des Abenteu(r)ers, nach Fortsetzungen, Wiederholungen und Enden, nach Erleben und Erzählen, nach Geschlechterverhältnissen sowie nach Alter, Verfall und Tod zu verhandeln. Aber das Abenteuer wird zeitgenössisch auch in anderer Weise mit dem Narrativ der Heimkehr konstelliert. In Rilkes Umschrift des biblischen Gleichnisses vom verlorenen Sohn wird erzählt, dass der Sohn sich in der Knabenzeit bei Streifzügen in die fernere Umgebung seines Elternhauses Tagträumen eines Abenteuerlebens als Seeräuber, Belagerer, Eroberer und Heerführer hingab. Und die Folge der abenteuerlich-pikaresken Episoden, in die Kafkas von seinen Eltern nach Amerika verschiffter Protagonist Karl Rossmann gerät, korrespondiert mit einer Bewegung des Verschollen-Gehens bzw. Verschallens, die sich als Gegenentwurf zur Sohnes-Heimkehr ebenso wie zum glorifizierten Abenteurertum in frontier novels lesen lässt.
Der Workshop zielt darauf, das Faszinosum des Abenteuers und Abenteurers im fin de siècle unter literarischen, philosophischen und kulturgeschichtlichen Aspekten zu erkunden. Beiträge, die die Brücke zu den Abenteuerphantasmen schlagen, die der Ausbruch des Ersten Weltkrieges freisetzte, sind willkommen. Doch soll der Fokus der Tagung auf der Vorkriegsepoche liegen.



Programm: 


Freitag, 08. Dezember

  • 09.30 – 09.45 Uhr BEGRÜßUNG
  • 09.45 – 10.45 Uhr Dieter Thomä (St. Gallen): Geschlechtlich-politische Abenteuer um 1900. Thomas Mann im Kontext
  • 10.45 – 11.45 Uhr Justus Fetscher (Mannheim): Figuren-Disposition. Der abenteuerliche Stand der Hochstapelei
  • KAFFEEPAUSE
  • 12.00 – 13.00 Uhr Annegret Heitmann (München): „Die Lust des Abenteuers“. Formexperimente in Texten der „Märchentante“ Selma Lagerlöf
  • LUNCH in der Cafeteria der Seidlvilla
  • 14.30 – 15.30 Uhr Georg Huber (München): Amerika als Abenteuerraum nach der Jahrhundertwende
  • KAFFEEPAUSE
  • 15.45 – 16.45 Uhr John Zilcosky (Toronto): Abenteuer als Vorschrift. Kafka in Amerika 
  • ab 19.00 Uhr ABENDESSEN in der Trattoria La Stella, Hohenstaufenstraße 2

Samstag, 09. Dezember

  • 09:30 – 10:30 Uhr Inka Mülder-Bach (München): Unhistorisch leben. Zur Dramaturgie von Hofmannsthals Casanova-Stücken
  • 10:30 – 11:30 Uhr  Susanne Lüdemann (München): Das Abenteuer als inneres Erlebnis. Georg Simmel
  • KAFFEEPAUSE
  • 12.00 – 13.00 Uhr Oliver Grill (München): Abenteuerstimmung. Zur Szene der Verführung bei Schnitzler und Rilke


Bei Fragen zur Veranstaltungen wenden Sie sich bitte per Email an carina.breidenbach@lrz.uni-muenchen.de

Eine Anmeldung ist zur Teilnahme nicht erforderlich. 

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Verantwortlich für den Inhalt: Carina Breidenbach