Forschergruppe „Philologie des Abenteuers“
print

Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Das Abenteuer als populärer Nomade. Transformationen von Abenteuererzählungen in Comics

Medienkulturwissenschaft, Universität zu Köln
Prof. Dr. Stephan Packard (Mercator-Fellow)

tp_packard

Fan Art (CC-BY_NC_ND 4.0): Justice League

In transmedialer Ausweitung einer Philologie des Abenteuers werden in diesem Projekt zwei Transformationen in der Geschichte des US-amerikanischen und des franko-belgischen Comics betrachtet: Zum einen die sukzessive Einführung von Adventure Strips, Adventure/Hero Books und Aventuriers zwischen 1925 und 1945, und zum anderen eine post-aventurische Remediation dieser Traditionen im 21. Jahrhundert.

Dabei stehen intermediale Grenzüberschreitungen sowie retrospektive Spiele mit einer als etabliert vorausgesetzten Tradition von Abenteuererzählungen im Zentrum des Interesses: Insofern der Comic jeweils Funktionen eines transmedialen Labors übernimmt, in dem Künstler_innen und ihr Publikum auch Innovationen anderer Medienformate erproben und reflektieren, wird ein Ausblick auf weitere ‚jüngere‘ Medienformate möglich.

Der narrativen Struktur und Attraktivität des Abenteuers in den heute populärsten Comicgenres geht in den amerikanischen Tageszeitungsstrips zwischen 1880 und den späten 1920er Jahren ein anderes Spektrum an Genres voraus: funnies, Migrations- und Einwanderererzählungen, family strips stehen neben mutigen formalen Experimenten. Erst mit dem konsolidierten Markt nach 1910 lässt sich eine Anverwandlung weiter Teile der Produktion in neue Adventure-Formate beobachten: Sie fängt wiederum mit adventure strips an, etwa mit den prägenden Serien Buck Rogers und Tarzan, die beide 1929 beginnen, und breitet sich dann schnell in den jungen comic books aus, wo sich zwischen der Weiterführung der bekannten Genres etwa in Funnies on Parade (1933) und den ersten Superheldencomics im engeren Sinne (Superman und Batman, 1939) ein Corpus aus Abenteuerzählungen findet, die zugleich im Kontext der Pulp Adventure Novels gelesen werden können, wie sie seit 1896 verlegt wurden. An dieser Schnittstelle aus alten und neuen Erzähltraditionen und medialen Optionen setzt eine synoptische Lektüre der Adventures und der in ihnen zitierten und gespiegelten Formate an.

Eine zweite folgt der Neuaspektierung des abenteuerlichen Heldentums-als Superheldentum ab 1939, und eine dritte der teils vergleichbaren Entwicklung in franko-belgischen bandes dessinées. War hier bereits Pieds Nickelés (seit 1908) als reisender Abenteurer inszeniert, und folgte in den 1920ern etwa mit Zig et Puce eine direkte Parallele zur amerikanischen Adventure-Produktion, so setzt erst mit den Werken von Hergé (Tintin ab 1929) und E. P. Jacobs (Blake et Mortimer ab 1945) die Prägung einer eigenständigen wiedererkennbaren Form an, die neben der stilistischen Innovation der ligne claire mit dem Übergang von einer Magazin- zu einer Albenproduktion verbunden ist. Die jüngere Forschung, aber auch jüngere BDs perspektivieren diese frankophone Tradition besonders von einem kritischen postkolonialen Standpunkt aus. In der US-amerikanischen Produktion steht dem eine transnationale Phantasie gegenüber, die sowohl in der Adressierung wie in der Repräsentation eine Globalisierung der gemeinten Themen und Personen inszeniert.

Beide Produktionszusammenhänge schließen an eine – viertens – oft mit der Auseinandersetzung mit dem 11. September 2001 in Verbindung gebrachten Neuorientierung der Ästhetik und des Markts für Comics an. Die häufig allegorische Auseinandersetzung mit diesem und anderen tagespolitischen Themen koinzidiert mit einer allgemeinen Verdoppelung der narrativen Struktur in US-amerikanischen und europäischen Mainstream-Comics. Hier setzt die letzte Perspektive des Projekts an: Mit einer post-aventurischen Remediation des narrativen Kerns der Abenteuererzählungen in jüngeren Erzählungen, die für ein im Genre belesenes Publikum das Abenteuer als ein sekundäres thematisches und strukturgebendes Element anzitieren, aber in Abhängigkeit zu anderen primären Erzählabsichten stellen. Aus diesem inter- und transmedialen Nomadentum des Abenteuers ergeben sich neue systematische und medienhistorische Fragen an alle diejenigen Momente eines inter- und transmedialen Nomadentums, in denen die Kenntnis einer vorausgegangenen medialen Form, in der Abenteuer einmal erzählt wurden, einerseits unverzichtbar ist und das Abenteuer andererseits nicht die zentrale Struktur des vorliegenden populären Mediums bestimmt.

Der mehrfach erneuerten breiten Popularisierung der so adaptierten Abenteuererzählungen kommt für die Verknüpfung von Genre und Technologie eine besondere Bedeutung zu. So ist die Serialisierung populärer Formen mit der kommerziellen Etablierung neuer technischer Verfahren verbunden. Die ausgewählten Comics sind typisch für den Umgang mit Serialität in neueren Medien des 20. Jahrhunderts. Er zeigt sich hier sowohl in den Sequenzen zunächst von Strips und später von Heften, sowie im seriellen Vertreib beider Produkte. In diesem Sinne wird schon an den frühen Corpora eine neu verstandene Popularität der generischen Abenteuererzählung vor dem Hintergrund der Ausbildung einer modernen Kulturindustrie ausgehandelt, noch bevor sie dann in den jüngeren, postaventurischen Erzählungen in Frage gestellt wird. Transmediale Wanderungen lassen sich nur in ihren spezifischen historischen Kontexten beobachten, in denen Kohärenzen und Diskontinuitäten von Medien als kulturelle Konventionen entstehen, die auf immer neue Weise mit technischen und semiotischen Differenzen verschränkt sind. In den hier betrachteten Übergängen betrifft dies Wanderungen des narrativen Kerns des Abenteuers in weitere Medien und Genres, die in ihrer Selbstreflexion beobachten, dass diese Narrativität verloren gehen oder jedenfalls transformiert werden kann: ins Populäre und Triviale sowie in neuere Medienangebote, für die das Abenteuer dann transversale Funktionen übernimmt.